Fantastisches Carcassonne


Fantastisches Carcassonne

Where are my knights?



"Echt oder gemalt?", fragt man sich unwillkürlich, wenn man zum ersten Mal vor der Altstadt von Carcassonne, "La Cite", steht.



My first impression of Carcassonne, comming over the river-aude bridge.


Meine Vorstellung von Schlössern und Burgen wurde anscheinend von den Comicgeschichten und Zeichentrickfilmen der Kindheit geprägt. Cinderellas Schloß muß aussehen wie Neuschwanstein und Ritterburgen irgendwie wie Carcassonne. Wenn man von Westen her in die Stadt Carcassonne fährt, sieht man nur eine französische Kleinstadt mit den üblichen vielen Kreisverkehren und Gewusele. Doch irgendwann geben ein paar Lücken in den Häuserzeilen immer wieder den Blick frei auf den Hügel mit der Altstadt "La Cite". Ich traute meinen Augen nicht und dachte: "war das eben Wirklichkeit oder hat Walt Disney da eine Hauswand täuschend echt bemalen lassen?". Auf der Brücke über die Aude mußte ich mein Bike erst mal stoppen und staunen: "Das gibt es ja wirklich, eine Stadt samt Burg wie aus einem Comic!" Die Huperei der Einheimischen trieb mich dann doch weiter, bis vor die Stufen der Burg. Man kann von Osten her auch in die Altstadt und die Wehranlagen fahren, wenn man etliche Schilder "Nur für Anlieger (oder so ähnlich?)" übersieht und sich den Spaß gönnt.



Like a 800 year old picture: Carcassonne today




Stadtgeschichte

Heute präsentiert sich die Altstadt auf einem Hang über dem östlichen Ufer der Aude als Weltkulturerbe fein säuberlich restauriert. Carcassonne war zuerst ein gallisches Dorf, danach eine befestigte Römerstadt. Während des 5. und 6. Jahrhunderts wurde es von den Westgoten und zwischen 725 und 759 von den Arabern bewohnt. Danach gehörte es zum Reich der Franken und später zu Aquitanien. Vermutlich auch nicht unblutige Herrschaftswechsel, aber davon ist weniger bekannt. 1130 erbaute die Dynastie der Trencavel die Grafenburg und verband sie mit den Stadtmauern. Die große Katastrophe kam über die Stadt mit der Vernichtung der christlichen Sekte der Katharer, der auch viele Einwohner von Carcassonne damals angehörten. Überall im Südwesten Frankreichs verstreut sind heutzutage Schilder mit der Aufschrift "Pays Cathare" - das Land der Katharer- zu sehen. Wie in Spanien mit den muselmanischen Mauren ist man auch hier stolz auf die Geschichte dieser Glaubensgemeinschaft. Dabei wurden die Katharer von den damaligen Franzosen mit brutalsten, scheinheiligsten und hinterhältigsten Mitteln beraubt und vernichtet. Leicht schizophren, dieser Stolz auf die Geschichte der von eigenen Vorfahren vernichteten Katharer.



Im Juli 1209 wurde Carcasson von den Kreuzrittern belagert. Angelockt von der vom Papst in Aussicht gestellten Beute und angeblichen Freifahrtscheinen ins Paradies war es mit der Ritterlichkeit bald vorbei. Der Burgherr, Raymond-Roger de Trencavel, mußte schließlich wegen Mangel an Wasser und Nahrungsmittel verhandeln. Er wurde auf verräterische Weise gefangengenommen und später hingerichtet. Das durstende Carcassonne wurde erobert und durch den Kreuzritter Simon de Montfortzum zum Hauptquartier des Kreuzzuges gemacht. Zum Dank für den Gebietszuwachs wurde der Kreuzritter vom französischen König zum Vicomte von Beziers und Carcassonne ernannt.



Strangers have to park outside the walls.

Ein Raymond Trencavel versuchte 1240 den Familienbesitz Carcassonne zurückzuerobern, scheiterte aber und ging ins Exil. Die zivile Bevölkerung der Stadt ließ sich, nach dem Umbau der Oberstadt in eine uneinnehmbare Festung um 1260, in der heutigen Unterstadt nieder. Carcassonne wurde zum Hauptquartier des gegen Katalonien-Aragon und später Spanien ausgerichteten Verteidigungssystems. Im Mittelalter lebten dort 3500 Soldaten und 2000 Zivilisten in der strategisch wichtigen Festungsstadt, schließlich verlief bis zur Zeit Ludwig des XIV. die Grenze zu Spanien nur 50 Kilometer entfernt. Dann wurde das spanische Roussion besetzt und Carcassonne verlor die Bedeutung als Grenzfeste und wurde mehr oder weniger dem Verfall preisgegeben. Bis 1820 gehörte die ganze Altstadt dem französischen Kriegsministerium und beherbergte ein riesiges Munitionsdepot. Nach einer Nutzung als großer Steinbruch Anfang des 19. Jahrhunderts durch die Armee wurde der Wert der historischen Anlagen ab der Mitte des vorigen Jahrhunderts erkannt und sie wurden restauriert. Noch heute ist Carcassonne Garnisonsstadt, was im Stadtbild nicht zu übersehen ist.



Carcassonne is the biggest preserved assemble of a middle-age touwn

Carcassonne La Cite ist die größte erhaltene Festungsstadt aus dem Mittelalter mit 52 Türmen und zahllosen Zinnen. Die ältesten Befestigungsanlagen stammen noch aus der Römerzeit und der Zeit des westgotischen Königreiches. Heute ist die Stadt in den Ferienmonaten vollgestopft wie Rothenburg ob der Tauber oder eben Neuschwanstein. Vor 1850 war dieser Teil schon recht verfallen und zu einem Quartier der armen Leuten geworden, die sich eine Wohnung in der nobleren Unterstadt nicht leisten konnten. Die alten Mauern, Türme und Tore waren mit Vor- und Anbauten verstellt und teilweise durchlöchert. Durch Ankäufe, Enteignungen, Abrisse und Rekonstruktionen wurde das mittelalterliche Erscheinungsbild wieder hergestellt. Eine Ausstellung im Schloß ist dieser Geschichte gewidmet. Ebenso werden dort Fundstücke bis aus der Zeit vor den Römern gezeigt. Den größten Eindruck hinterläßt jedoch einfach das Bild, das man von der Unterstadt her kommend, von den gesamten Bauwerken, umfriedete Altstadt und Burg, erhält. Innerhalb der Stadtmauern ist heute von Banken über Restaurants, Hotels, Wohnungen, Wegweisern, Besichtigungspunkten und Läden alles auf den internationalen Touristen abgestimmt. Etwa wie in Rothenburg. Ein Rundgang auf den Mauern und vor den Mauern lohnt sich mehr, insbesondere wenn die Stadt in der Hochsaison Juli-August zu voll ist. Anfang Juni 2001 war sie noch angenehm leer.



Religionsgeschichte

Never finished: The cathedral of carcassonne. In the background the castle.

Der herrliche Anblick der alten Mauern wird etwas getrübt durch den recht grauslichen Teil der Geschichte, die sich damit verbindet. Die Religion der Katharer ist nichts weiter als eine christliche Religion, die sich auf das neue Testament beruft. Das Wort "Katharer" wird vom griechischen "katharos", das rein bedeutet, abgeleitet. Durchgesetzt haben sich die Namen "Katharer" und "Albigenser", nach der Stadt Albi.

Die Katharer hatten und haben zwar recht merkwürdige Ansichten, doch waren sie eine durch und durch friedliche Gemeinschaft. Für sie war Gott nicht allmächtig, sondern es gab daneben noch das Reich des Bösen, über das Gott nicht gebieten kann. Die Priester, die "Vollkommenen" (Häretiker), der Katharer lebten nach sehr strengen Ordensregeln. Der Geschlechtsverkehr ist untersagt, da er die Befreiung der Seelen aus ihrem irdischen Gefängnis hinauszögern würde, trotzdem wuchs die Religionsgemeinschaft merkwürderweise. Die "Priester" essen kein Fleisch, da in den Tieren eine Seele auf Offenbarung warten könnte (Reinkarnation?).

Es gibt keine Gottesdienste, keinen Tempel und kein Kirchengebäude bei den Katharern. Die Kirche der Katharer ist rein geistig, ohne weltliche Macht. Es finden einfache öffentliche Zeremonien in Handwerksgebäuden, Privathäusern oder in freier Natur statt. Schreckliche Vorstellung für die macht- und prunksüchtigen damaligen Päpste und Bischöfe. Die katholische Kirche sah ihr Wahrheitsmonopol, Einfluß, Macht, Vergnügungen, Lebensstil und Einnahmen bedroht. Die Bewegung der Katharer wuchs im Aquitanien besonders schnell.



Im Jahre 1150 zog der heilige Bernhard von Clairvaux ("Bernhardiner") in das Gebiet der Katharer, um sie zu bekehren. Angesichts seiner geringen Erfolge wurde auf dem 3. Laterankonzil (1179) entschieden, weltliche Mittel einzusetzen. Ab 1204 sandte Papst Innozenz III. drei Legaten aus, die gegen die Katharer predigten und hetzten. Sie sollten den Grafen von Toulouse, Raymond VI, überzeugen, auf seine Unterstützung der Katharer zu verzichten. Dieser weigerte sich jedoch und wurde deswegen 1207 exkommuniziert. Die Religion der Katharer wuchs weiter, auch weil man in den verweltlichten, im Luxus und mit Ausschweifungen lebenden Kirchenführern keine christlichen Vorbilder sah. Diese fürchteten wegen der immer beliebter werden Sekte um Einfluss, Lebensstil und Einnahmen und reagierten zunehmend aggressiver.

Da kam es gerade recht, daß im Januar 1208 einer der drei päpstlichen Legaten, Pierre de Casteinau, ermordet wurde. Sogleich wurde unter fadenscheinigen Gründen Raymond Vl. des Mordes angeklagt. Dieser Vorfall war Auslöser für den 1. Kreuzzug gegen die Katharer, zu dem Papst Innozenz III im März 1208 aufrief. Der Kreuzzug hatte zum Ziel, die Katharer in diesem bisher überwiegend katholischen Land auszurotten und die Einheit der Kirche Roms wiederherzustellen.

Der Kreuzzug begann 1209. Gleichzeitig erließ Papst Innozenz III das kanonische Gesetz, welches allen Besitz der Anhänger dieses Glaubens für frei erklärte. Damit war der materielle und politische Anreiz für einen Religionskrieg gesetzt. Die Franzosen machten eiligst mit, weniger aus Glaubensgründen, sondern weil das reiche Land der Katharer mit seiner blühende Textilproduktion störend und lockend zwischen dem damaligen Frankreich und dem Mittelmeer lag. Unter der Führung des Priesters Arnaud-Amaury de Citeaux und später unter Simon de Montfort vereinigten sich die Ritter der Ile-de-France, der Normandie, der Picardie. aus Flandern, der Champagne und dem Burgund sowie rheinische, friesische, bayerische und sogar österreichische Adelige. Der "heilige Krieg" sollte mehr als 20 Jahre dauern.



Southern france "aquitania" was in 11th century the center of the christian church of the "katharer" (the clean ones). They wanted a church without any other institutions than priests. In the best case, the pope and the victorious french king got them the choice between burning or "the right religion".

Bei der Erstürmung von Béziers im Juli 1209 metzelten die Kreuzritter 22 000 Einwohner der Stadt - keineswegs nur Katharer, auch Katholiken- gnadenlos nieder, und der päpstliche Nuntius Arnaud Amaury soll die Soldaten zusätzlich aufgehetzt haben: "Tötet sie alle, Gott wird die Seinen schon erkennen". Als die Burg Montségur vor den Kreuzrittern kapitulierte, stellten die christlichen Soldaten die überlebenden Katharer vor eine teuflische Wahl: ihrem Glauben abzuschwören oder auf dem Scheiterhaufen zu sterben, der eilig am Fuße des Berges errichtet wurde. 225 Männer und Frauen blieben ihrem Glauben treu und starben einen schrecklichen Tod. Auch nach dem Fall der Festungen war der Glaube der Katharer noch nicht besiegt, deshalb wurde 1226 der 2. Kreuzzug begonnen, der vom König von Frankreich persönlich, von Ludwig VIII, angeführt wurde. Wieder lockten die Besitztümer der Ungläubigen als Beute.



Da die Ritter und der König von Frankreich mehr an den Besitztümern der Katharer und an Steuereinnahmen interessiert waren und die Katharer eifrig Steuern zahlten, konnte sich die Glaubenslehre der Katharer, trotz der zahlreichen schweren Niederlagen, auch unter den neuen Landesherren weiter ausbreiten. Rom schuf deshalb die Inquistion, die bald außerordentliche Erfolge verbuchte. Sie sollte die Glaubenslehre der Katharer ausrotten. Der Dominikanerorden wurde 1231 von Papst Gregor IX. mit dieser Aufgabe betraut. Was Predigten und gute Worte nicht schafften, schafften den Verhören, Unterdrückungen, Folterungen und Scheiterhaufen. Der Katharismus in Okzitanien, der als erster den Verhören, Unterdrückungen, Folterungen und Scheiterhaufen ausgeliefert war, ging nach und nach durch den Terror der Inquisition unter. Um überlebende Katharer leichter in ihren Verstecken ausfindig zu machen, richteten die mit der Durchführung der Inquisition betrauten Dominikaner Hunde ab (Hunde des Herrn- domini canus). Sie jagten die Opfer wie Raubwild.



Die Inquisition (lat. "Befragung") war Vorläufer von Gestapo, KGB und Stasi (Spiegel 1.6.98). Sie forderte in Europa zwischen dem 13. und dem 18. Jahrhundert mindestens eine Million, nach anderen Schätzungen zehn Millionen Menschenleben (Der Spiegel, 1.6.98). Auf einen verbrannten "Ketzer" kam etwa die zehnfache Zahl an Menschen, die zu langjährigen Kerkerstrafen oder zu wiederholten schweren Demütigungen verurteilt wurden: Tragen von Brandmalen oder Abzeichen, regelmäßige Geißelungen oder beschwerliche Wallfahrten. Wer einmal in die Mühlen der Inquisition geriet, hatte keine Chance. Er wurde durch eine oft langjährige Haft in finsteren Verließen gefügig gemacht, durch Folter gequält und zu einem "Geständnis" gezwungen. Sein Vermögen wurde beschlagnahmt und fiel zum großen Teil an die Kirche; seine Angehörigen standen meist mittellos auf der Straße, niemand traute sich, ihnen zu helfen. Die Inquisition begann mit dem "Ketzerkreuzzug" (1209-1229) gegen die Katharer in Südfrankreich. Diese wurden in den folgenden Jahrzehnten vollständig ausgerottet.



Auch in Deutschland wurden zahlreiche Katharer verbrannt, z.B. 1051 in Goslar oder 1163 in Köln (Hans-Jürgen Wolf, "Sünden der Kirche", 1995, S. 258). Der spanische Großinquisitor Torquemada schickte über 10 000 Menschen auf den Scheiterhaufen und fast 100 000 auf die Galeeren (Kh. Deschner, "Opus Diaboli").


Der Großinquisitor grinst ?

A smiling terrorist

In San Vincente de la Barquera stießen wir per Zufall auf das Grab eines Inquisitors. In einem vergitterten Seitenschiff der Kirche liegt er in seinem Sarkophag. Für 25 Peseten kann man in der Grabstätte samt Altar die Beleuchtung 5 Minuten brennen lassen. Wenn das Geld im Kasten klingt, die Birne brennt! Der Hauptaltar kostet doppelt so viel. Auf der Tafel vor dem Seitenschiff wird der verblichene Verbrecher für sein tugendhaftes Leben gerühmt, und daß er ein Vermögen (das er von seinen Opfern geraubt hatte) der Kathedrale von Sevilla gespendet hat. Im Unterschied zu allen anderen Figuren, die ich je auf einem Sarkophag sah, meist liegend und mit betenden Händen, wurde dieser Großinquisitor vom Bildhauer in einer entspannten Seitenlage, wie eine Nutte im Fenster der Herbertstraße liegend, dargestellt. Trotz der Beleuchtung meinte ich immer, die Figur würde grinsen, war mir aber nicht ganz sicher. Jedenfalls muß der Bildhauer extrem mutig gewesen sein, wenn ein anderer Großinquisitor das in den falschen Hals bekommen hätte, hätte er nach einem Foltergeständnis selbst gebrannt. Die Inquisition machte mit der kritischen Intelligenz in Spanien und Südfrankreich einen solch brutalen Schnitt, daß das Land noch heute unter den Folgen zu leiden scheint. Der Großinquisitor wird wohl weitere Jahrhunderte in seinem Seitenschiff der Kirche vor sich hin grinsen können.



ENDE